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aus dem laufalltag eines turtlerunners


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Teil 2 Bodensee Frauenlauf Rückblick

… und ich muss ich wiederholen, denn jetzt kommt der wirklich üble Teil meines Tagebuchs 🙂 Trotzdem werde ich ihn nicht beschönigen, denn genauso intensiv habe ich ihn erlebt. Und ich sag euch ehrlich: ich möchte keine Minute davon missen. Keine einzige Minute! Es war perfekt, so wie es war. Dieser Lauf hat mich geprägt und stark gemacht, für alles was danach kam. Deswegen starte ich dieses Jahr mit meiner eigenen Turtle-Truppe, weil ich damals alleine – in Begleitung meiner Schwester – diesen Lauf gemacht und geschafft habe. Vermutlich der wichtigste Lauf meiner bisherigen Läufer-Karriere. Here we go!

Rückblick Frauenlauf Juni 2012:

Dann hören wir den Startschuss – es geht los! Der ganze Trupp setzt sich in Bewegung und trotzdem dauert es noch an die 10 Minuten bis auch endlich Block G ganz vorne am Start angelangt ist. Die Wartezeit verkürzt uns ein netter Herr, der mit offenem Hemd etwa 4 Stockwerke über uns auf einem Balkon rumturnt. Er winkt uns zu, macht leicht affenartige Bewegungen – ich nehme an, er tanzt. Dann beginnt er, sich auszuziehen… Die ganze Damenmeute schreit kurz auf. Ob vor Schock oder vor Begeisterung ist schwer zu sagen. Dann sind wir endlich am Start angelangt und es kann losgehen. 

Miriam und ich haben abgemacht, dass wir in meinem Tempo joggen. Also Schildkrötenliga. Wir werden permanent überholt. Die mit den Stöcken sind die schlimmsten; denn sie sind bewaffnet. Und sie machen durchaus Gebrauch von ihren Waffen. Da wird von links und rechts überholt, mit den Stöcken wird Platz geschaffen. Scheinbar soll es sogar zu einem kleinen Unfall zwischen Stockbesitzer und unbewaffneter Joggerin gekommen sein – mich wundert, dass keiner mit gebrochenem Bein abgeholt wurde. Es ist nicht schön, wenn dir so ein Stock beim Überholen mal schnell zwischen die Füße geschoben wird und du merkst es zu spät. Natürlich wird auch geflucht und über die langsameren hergezogen. Alles in allem sehr sympathisch diese reine Frauen-Veranstaltung! Wir Frauen sind wirklich ein großes, tolles Team. Alle für eine, eine für alle! Ohne mich. 

Ich schaue auf meine Pulsuhr: 159 Schläge.

Und das schon nach ein paar Hundert Metern. Nicht gut, ich sollte langsamer werden. Geht aber nicht. Von hinten schieben die bewaffneten Ladies und von vorne feuern dich die Zuschauer an. Ich verfalle in schnelles Gehen, statt langsames Joggen, und höre hinter mir schon wieder jemanden schimpfen: „Ja, schlafen wir jetzt ein, oder was?“ Dann werden wir von zwei fluchenden Damen überholt und mein Herz sackt etwas ab. Die sind doppelt so breit wie ich und überholen mich??? Irgendwas mach ich verkehrt. 

Vorne steht ein etwas älterer Herr, der klatscht und uns zuruft: „Super Mädels, immer weiter – das Ende naht!“ Ja, genau! So fühle ich mich gerade, das Ende naht…. Der Puls geht nicht runter, immer noch auf 160 Schlägen. Und vorne kommen schon wieder Menschenmassen, die meine, uns anfeuern zu müssen. Und prompt steigt mein Puls noch ein paar Schläge. Ich kann es nicht mehr beeinflussen. Langsam macht sich Verzweiflung breit. So schaffe ich es nie und nimmer die 5 Kilometer durchzulaufen. Nach ungefähr 2 Kilometern hat sich mein Puls auf stabile 170 Schläge eingependelt, ich jogge wieder. Ganz langsam. Miriam immer an meiner Seite. Die erste Getränkestation. Ein kleiner Junge hält uns 2 Becher mit Wasser hin. Ich greife dankbar zu. Stelle dann fest: Trinken während dem Laufen hab ich eindeutig zu wenig geübt. Die Hälfte schütte ich über mein Shirt. Fühlt sich auch nicht schlecht an. Allerdings wollte ich hier nicht auf Miss-Wet-T-Shirt machen.

Wir laufen das Bregenzer Molo runter – ganz unten bei dem großen Baum auf der Parkbank sitzen 3-4 junge Männer, die ihren Tag mit Bier und Musik verbringen. Sehen aus wie Punks. Normalerweise würde ich da niemals vorbeilaufen, vor lauter Panik, angesprochen zu werden. Bei diesem Lauf allerdings sind das die nettesten Menschen, die mich da ansprechen: „Willst du ein Bier?“ Wie gerne würde ich jetzt ja sagen und mich einfach auf die Parkbank setzen. Aber nein, das Ende naht. Das schaff ich schon. Auch wenn ich ganz kurz mit dem Gedanken spiele, meine Laufschuhe mit dem Zeitnehmungschip auszuziehen, irgendjemandem um den Hals zu hängen und mich auf die Parkbank zu setzen, Bier zu trinken und den anderen beim Laufen zu zusehen. Die Entscheidung fällt: ich laufe weiter. Aber es ist gut zu wissen, dass man immer eine Wahl hat. 

Überholt werde ich jetzt nicht mehr.

Wir sind schon langsam auf dem Weg Richtung Ziel. Im wahrsten Sinne des Wortes langsam. Mittlerweile laufen Miriam und ich fast alleine – die anderen haben uns abgehängt und hinter uns kommen nur noch die, die noch schlechter sind als wir. Eine ältere Dame aus dem Publikum ruft uns zu: „Nicht einschlafen, Mädels!“ Ich bin total empört und würde ihr am liebsten eine ganze Reihe Verwünschungen und Flüche zurufen. Aber ich kriege keinen Ton raus, der Puls ist auf knapp 180 Schläge angestiegen. Genauso wie das Publikum, das mit jedem Meter in Richtung Ziel zunimmt. Aber wozu hat man eine Schwester: „Lauf doch selber mit, du Schnepfe!“ brüllt sie ihr lauthals hinterher. Ich muss lachen, was meinen Puls weitere 5 Schläge in die Höhe treibt. „Sollen wir kurz gehen?“ fragt Miriam. Ich schüttle nur den Kopf. Zu mehr Kommunikation bin ich nicht mehr fähig. Ich will nur noch ins Ziel! 

Weitere drei Zuschauer-Kommentare später, traben wir in Richtung Zieleinlauf. Und dort stehen Menschenmassen!! Soweit das Auge reicht. Miriam fragt noch mal, ob wir vielleicht nicht doch einfach gehen wollen. Ich schüttle wieder den Kopf. Diese Blöße gebe ich mir garantiert nicht.

Ich werde joggen, und wenn es das letzte ist, was ich tue! 

Ein Blick auf die Pulsuhr zeigt, dass der Gedanke gar nicht so abwegig ist. 190 Schläge! Ist das überhaupt noch gesund? Nur noch 300 Meter – ich krieg keine Luft mehr. In der letzten Kurve winken uns Nachbarn aus dem Dorf zu. Normalerweise wäre mir das peinlich gewesen, zu dem Zeitpunkt war mir alles völlig egal. Ich wollte nur zu diesem verdammten Zieleinlauf. Und dann waren sie wieder da: 2 Nordic-Walkerinnen – ca. 100 Meter vor dem ersehnten Ziel. Ich sah Miriam an und sie nickte nur und setzte zum Überholen an. Ich versuchte mitzuziehen, was mich meine letzte Kraft kostete, aber ich schaffe es. Mit einem Puls von 197 Schlägen, hochrotem Kopf und dem Gefühl, jeden Moment umzukippen lief ich nach 51 Minuten und 6 Sekunden Spießrutenlauf ins Ziel ein.

Geschafft. Wir sind Finisher!

Geschafft. Im wahrsten Sinne des Wortes!